Paläontologie: Neue fossile Fischgattung entdeckt
LMU-Paläontologen haben eine neue Gattung fossiler Süßwassergrundeln identifiziert und evolutionäre Geheimnisse einer Millionen Jahre alten Linie enthüllt.
10.06.2024
Grundeln gehören zu den artenreichsten Gruppen der Meeres- und Süßwasserfische Europas. Sie halten sich überwiegend am Boden der Gewässer auf und tragen erheblich zur Funktionalität vieler Ökosysteme bei. Mit der Identifizierung einer neuen Gattung fossiler Süßwassergrundeln haben Studierende des internationalen LMU-Masterstudiengangs ‚Geobiology and Paleobiology‘ und LMU-Paläontologin Bettina Reichenbacher, Professorin am Department für Geo- und Umweltwissenschaften sowie dem GeoBio-Center der LMU, eine Entdeckung gemacht, die wichtige Einblicke in die Evolutionsgeschichte dieser Fische ermöglicht.
Die kleinen, nur bis 34 mm großen Fische der neuen Gattung †Simpsonigobius wurden in 18 Millionen Jahre alten Gesteinen in der Türkei entdeckt und zeichnen sich durch eine einmalige Kombination morphologischer Merkmale aus, unter anderem besitzen sie einzigartig geformte Otolithen („Gehörsteine“) im Innenohr.
Fossiler Fisch der neuen Gattung †Simpsonigobius. | Foto: Moritz Dirnberger
Moderne Forschungstechniken klären Verwandtschaft
Wie †Simpsonigobius im Stammbaum der Grundeln einzuordnen ist, klärten die Forschenden mithilfe eines phylogenetischen „total-evidence“-Datensatzes, den sie so erweiterten, dass für 48 heutige und zehn fossile Arten insgesamt 48 morphologische Merkmale mit genetischen Daten von fünf Genen kombiniert wurden. Zudem setzte das Team erstmals für fossile Grundeln das sogenannte „Tip-dating“ ein. Darunter versteht man eine phylogenetische Analyse, bei der aus dem Alter der im Stammbaum enthaltenen Fossilien (= Tips) Rückschlüsse auf den zeitlichen Verlauf der Evolutionsgeschichte der gesamten Gruppe gezogen werden.
Die Ergebnisse zeigen: Die neue Gattung ist das älteste skelettbasierte Mitglied der Familie der „Oxudercidae“, welche zu den „modernen“ Grundeln (Familien Gobiidae + Oxudercidae) zählen, und die älteste Süßwasserart innerhalb dieser modernen Gruppe. Die Methode des Tip-dating kalkuliert die Entstehung der Gobiidae auf 34.1 Millionen Jahre und die der Oxudercidae auf 34.8 Millionen Jahre, was gut mit früheren Datierungen unter Verwendung anderer Methoden übereinstimmt. Eine stochastische Lebensraumkartierung, in die die Forschenden erstmals auch fossile Grundeln einbezogen, zeigte zudem, dass Grundeln am Anfang ihrer Evolutionsgeschichte wahrscheinlich eine breite Salztoleranz besaßen, was frühere Annahmen in Frage stellt.
„Die Entdeckung von †Simpsonigobius fügt den Grundeln nicht nur eine neue Gattung hinzu, sondern liefert auch wichtige Hinweise auf den evolutionären Zeitrahmen und die Lebensraumanpassungen dieser vielfältigen Fische. Unsere Forschung unterstreicht, wie wichtig es ist, Fossilien mit modernen Methoden zu analysieren, um genauere Aussagen zu den evolutionären Abläufen zu treffen“ sagt Reichenbacher. Erstautor Moritz Dirnberger, derzeit Doktorand an der Universität Montpellier, fügt hinzu: „Unsere Ergebnisse werden den Weg für weitere Studien zur Evolution der Grundeln und der Rolle von Umweltfaktoren bei der Entstehung ihrer Vielfalt ebnen.“
Original Publikation
Dirnberger M., Bauer E., Reichenbacher B. (2024): A new freshwater gobioid from the Lower Miocene of Turkey in a significantly amended total evidence phylogenetic framework. Journal of Systematic Paleontology 2024. https://doi.org/10.1080/14772019.2024.2340498