Lehrstuhl für Paläontologie & Geobiologie
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Ein früher Gigant aus der Schweiz

Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz lebten schon vor rund 225 Mio. Jahren Vorfahren der weithin bekannten Langhalssaurier (Sauropoden). Ein Paläontologen-Team um SNSB-Forscher Oliver Rauhut konnte einen neuen Urahn der Langhalssaurier aus der Nähe von Schaffhausen identifizieren und gab ihm den Namen Schleitheimia schutzi. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift Swiss Journal of Geoscience.

01.07.2020

Bei dem Wort „Dinosaurier“ denken die meisten Menschen vermutlich unvermittelt an Tiere mit riesigen Körpern, langen Schwänzen und Hälsen und einem winzigen Kopf. Diese Langhalssaurier sind somit für die meisten von uns der „Urtyp“ eines Dinosauriers. Obwohl die Sauropoden - so der wissenschaftliche Name der Langhalssaurier - nur eine von vielen Gruppen der Dinosaurier sind, beflügeln sie unsere Fantasie ganz besonders, da zu dieser Gruppe die größten Landwirbeltiere aller Zeiten gehören, deren schiere Dimensionen unsere Vorstellungskraft an ihre Grenzen bringt.

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Rekonstruktion von Schleitheimia (Vordergrund links), mit Plateosaurus im Hintergrund.

Obwohl somit viele von uns mit solchen Giganten wie Brontosaurus, Diplodocus oder auch Brachiosaurus aus Büchern, Filmen oder auch von einem Museumsbesuch vertraut sind, stellen diese Tiere natürlich bereits hoch entwickelte Vertreter der Sauropoden dar, und die Frage, wie sich aus den eher kleinen Ur-Dinosauriern solche Riesen entwickeln konnten und wann und wie die Evolution dieser Gruppe ablief, ist immer noch Thema intensiver Forschung. Hierbei sind natürlich Funde von frühen Vertretern der Sauropoden von besonderer Bedeutung.

Die frühesten Vertreter der Großgruppe, zu denen die Sauropoden gehören, tauchen in der Zeit der oberen Trias (vor ca. 225 Mio Jahren) im Fossilbericht auf und verbreiteten sich offenbar rasch. Zu diesen sogenannten Sauropodomorphen gehört unter anderem die Gattung Plateosaurus, die aus zahlreichen Fundstellen Mitteleuropas bekannt ist und in Deutschland auch unter dem Namen „schwäbischer Lindwurm“ (oder in Bayern als „fränkischer Lindwurm“) bekannt ist. Die ersten echten Sauropoden kennt man allerdings erst aus der Zeit des späten unteren Jura (vor ca. 190 Mio Jahren, bis dahin waren offenbar Tiere wie Plateosaurus die typischen großen Pflanzenfresser unter den Dinosauriern.

Die Gattung Plateosaurus ist auch aus der oberen Trias der Schweiz bekannt. Bei der Untersuchung einiger unvollständiger Reste aus dem Kanton Schaffhausen in den Sammlungen der Universität Zürich, die ursprünglich als Plateosaurus identifiziert worden waren, erlebte der Münchener Paläontologe Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie und der Ludwig-Maximilians-Universität jedoch eine Überraschung: Diese Reste stammten nicht von Plateosaurus, sondern repräsentieren eine bisher unbekannte Art der Sauropodomorphen, die den Sauropoden evolutiv bereits sehr nahe steht. Diese Art wurde nun von Rauhut und seiner Kollegin Femke Holwerda vom Royal Tyrrell Museum in Drumheller (Kanada) sowie Heinz Furrer von der Universität Zürich in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Swiss Journal of Geosciences“ unter dem Namen Schleitheimia  schutzi beschrieben. Der Name leitet sich dabei von der kleinen Ortschaft Schleitheim, in deren Nähe die Reste gefunden wurden, sowie dem Namen des Finders, dem Schaffhausener Privatsammler Emil Schutz, ab.

Obwohl Schleitheimia dem bekannten Plateosaurus vermutlich noch recht ähnlich sah, ist dieses Tier mit geschätzten 9-10 m Körperlänge bereits deutlich größer als letzterer, auch wenn es bei weitem noch nicht die Maße seiner späteren verwandten erreichte. Auch war die neue Art offenbar sehr robust gebaut und bewegte sich, wie seine gigantischen Nachfahren, vermutlich auf allen Vieren fort, während Plateosaurus meist auf zwei Beinen ging. Die Analyse der Verwandtschaftsverhältnisse der neuen Gattung, die die Forscher durchführten, zeigt, dass Schleitheimia offenbar der nächste bekannte Verwandte der echten Sauropoden ist, was darauf hinweist, dass auch jene Gruppe ihren Ursprung bereits in der oberen Trias gehabt haben muss.

Eine neue Ausgrabung in der direkten Nähe der ursprünglichen Fundstelle, die unter der Leitung von Heinz Furrer 2016 stattfand, brachte weitere Reste von Sauropodomorphen zu Tage, die unter anderem zeigten, dass auch Plateosaurus hier vorkam. Zudem deuten andere Funde von Emil Schutz auch noch das Vorhandensein einer dritten, bisher noch nicht bestimmbaren Art früher Sauropodomorphen an. Aus diesem Vorkommen, den ermittelten Verwandtschaftsverhältnissen und dem Fossilbericht der Sauropodomorphen schlossen Rauhut und seine Kollegen, dass die frühen Sauropoden offenbar über mehr als 20 Mio Jahren neben ihren primitiveren Verwandten gelebt haben und erst nach deren Aussterben gegen Ende des unteren Jura ihre Erfolgsgeschichte begannen, die sie zu den sie zu den größten und in vielen Ökosystemen wichtigsten Pflanzenfressern des Erdmittelalters machen sollte. „Wie man sieht, muss man nicht immer in exotische fremde Länder reisen, um neue Dinosaurier zu entdecken und neue Erkenntnisse zu ihrer Evolution zu gewinnen - manchmal reicht auch ein Besuch im benachbarten Museum oder eine Grabung vor der Haustür“, freut sich der Münchener Forscher mit einem Augenzwinkern.

Publikation

Rauhut, O.W.M., Holwerda, F.M., and Furrer, H. 2020. A derived sauropodiform dinosaur and other
sauropodomorph material from the Late Triassic of Canton Schaffhausen, Switzerland. Swiss Journal of Geosciences – Open Access