Lehrstuhl für Paläontologie & Geobiologie
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Fit wie ein Schwamm

Die Kraftmeier der ersten Stunde: Auch ohne echte Muskeln verfügen die entwicklungsgeschichtlich sehr alten Schwämme über bestimmte Muskelproteine. Der Ursprung der Muskulatur liegt damit wohl sehr viel weiter zurück als bislang vermutet.

26.06.2012

Köpfchen ist nicht alles: Erst seit der Erfindung des neuromuskulären Systems können Tiere kraftvolle Bewegungen ausführen undgrößere Distanzen überwinden, was wiederum komplexe Verhaltensmuster entstehen lässt. Die Struktur und Funktion der gestreiften Muskulatur, die eine willentliche Kontraktion erlauben, ist vor allem bei Wirbeltieren gut untersucht, ihr evolutionärer Ursprung war bislang aber ungeklärt. Neue Ergebnisse zeigen nun, dass zentrale Muskelbestandteile unerwartet früh entstanden sind - und dies in eher unsportlichen Tierarten.

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Ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Wiener Evolutionsbiologen Professor Ulrich Technau hat anhand genetischer Studien bestimmte Muskelproteine in den entwicklungsgeschichtlich sehr früh entstandenen Schwämmen nachgewiesen - die über keinerlei tatsächliche Muskeln verfügen. „Der Ursprung der Muskulatur liegt damit sehr viel weiter zurück als bislang vermutet", sagt Professor Gert Wörheide vom Geobio-Center der LMU, dessen Team, insbesondere die Humboldt-Stipendiatin Claire Larroux, maßgeblich zur Studie und vor allem zur Untersuchung der Schwämme beigetragen hat.

Quallen als Querdenker

In den Schwämmen tragen diese Muskelproteine wohl zur Regulation des Wasserstroms, zur zellulären Migration und zur Steuerung von Poren bei. Eines der Moleküle ist ein sogenanntes Myosin, das in höheren Tieren zu den essentiellen Bestandteilen der gestreiften Muskelfasern gehört. „Dieses Myosin kannte man bisher nur aus Muskelzellen, so dass wir seinen Ursprung auch bei der Muskelentstehung vermutet hätten", sagt Technau. „Vermutlich ist es aber wohl lange vor den ersten Tieren entstanden."

Als Anstoß zur Muskelentwicklung haben dieses und die anderen ursprünglichen Muskelproteine aber wohl genügt, wie die aktuelle Studie zeigt: Die Muskulatur der höheren Tiere ist aus einer Genduplikation und funktionalen Diversifikation der frühen Moleküle entstanden - ohne echte genetische Neuerung. Wie erfolgsträchtig diese Entwicklung war, konnten die Forscher wiederum an den Quallen nachweisen, die vor etwa 600 Millionen Jahren entstanden sind und über gestreifte Muskulatur verfügen.

„Deren Struktur ähnelt der gestreiften Muskulatur der Wirbeltiere und Insekten, was einen gemeinsamen Ursprung vermuten ließ", so Wörheide. „Unsere Ergebnisse zeigen nun aber, dass es trotz aller Übereinstimmungen wie das uralte Muskelmyosin auch wichtige Unterschiede gibt. Die gestreifte Muskulatur der Quallen und höheren Tiere ist also wohl unabhängig voneinander entstanden." Dieses Ergebnis unterstreicht einmal mehr, dass auf der Basis sehr alter Komponenten im Lauf der Evolution auch komplexe Strukturen mehrfach entstehen können. (Uni Wien/suwe)

Publikation

Independent evolution of striated muscles in cnidarians and bilaterians: Patrick R.H. Steinmetz, Johanna E.M. Kraus, Claire Larroux, Jörg U. Hammel, Annette Amon-Hassenzahl, Evelyn Houliston, Gert Wörheide, Michael Nickel, Bernard M. Degnan & Ulrich Technau. Nature (2012).

Ansprechpartner

Professor Gert Wörheide